Das Urheberrecht liegt beim Herausgeber des Mittelaltermagazins Miroque. Wiederverwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Die Publikation erschien in der Ausgabe Miroque - Lebendige Geschichte Nr. 5 - II/2011, Verlag VK Histomedia GmbH

Die alchemistische Medizin

von Gabriela Stark

mit freundlicher Genehmigung des Mittelaltermagazins Miroque

Destillieren ist nichts anderes,als das Subtile und Grobevoneinander zu scheiden

das Zerbrechliche oder Zerstörlicheunzerstörlich,

das Materialische unmaterialisch,

das Leiblich geistig zu machen,

das Unleiblich leiblich zu behalten.

Hieronymus Brunschwig, 1512

Diese Worte stammen von Hieronymus Brunschwig. Er hat sie als Einstieg in sein Werk “Distilierbuch der rechten Kunst, Newe vnd gemein Distilier- und Brennöfen, mit aller zu gehörender bereitschafft zumachen, auß allen Kreutern die Wasser zu brennen und Distillieren Sampt lebendiger Abcontrafactur der Kreuter, von mancherley gebranten vnd gedistilierten Gewässer, krafft vnd tugenten, für alle gebresten des gantzen Leibs” gewählt.

In diesen Einstiegsworten wird bereits beschrieben, worum es geht: Um die alchemistische und spagyrische Herstellung von Arzneimitteln. Die Alchemie war eine weit verbreitete Wissenschaft im Mittelalter. Heutzutage belächeln wir die Alchemisten früherer Jahrhunderte, die ihre Zeit vermeintlich damit verbrachten, aus irgendwelchen Substanzen Gold herzustellen.

Alchemie - die hohe Kunst

Dabei war die Alchemie die hohe Kunst, den Dingen auf den Grund zu gehen, nach dem “Warum” und “Wieso” zu fragen, die einzelnen Stoffe auf ihre Eigenschaften und Umwandlungen zu untersuchen und daraus wiederum Stoffe herzustellen, die ihren Ursprung nicht in der Natur hatten. Es waren die Anfänge der modernen Chemie.

Einer der wohl populärsten Alchemisten des Mittelalters war Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus. Durch seine Werke haben wir das meiste Verständnis dafür, was Alchemie im Mittelalter bedeutete und leistete. Allerdings liegen die Anfänge der Alchemie im antiken Ägypten, in Indien und China verborgen. Viele alchemistische Zubereitungen finden wir bereits in der ayurvedischen Medizin. Erst viele Jahrhunderte später vermittelten die Araber alchemistisches Wissen nach Europa. Normale Heilmittel des Mittelalters waren Tees, Tinkturen, Zubereitungen wie Mazerate, Salben oder Dekokte von Heilpflanzen. Dabei wurden die heilkräftigen Teile der jeweiligen Pflanzen verwendet. Es war die einfachste Art, Arzneimittel herzustellen, während die alchemistische Zubereitung die Pflanze “aufschließt” und ein neues Produkt dabei entsteht.

Die Wasserdampf-Destillation

Eines der Verfahren dazu ist die Wasserdampf-Destillation. Ihr Produkt ist das ätherische Öl und das Pflanzenwasser (Hydrolat). Das ätherische Öl entsteht dabei aus den fettlöslichen, das Hydrolat aus den wasserlöslichen Teilen der verwendeten Pflanze.

Die ersten Anfänge finden wir im antiken Ägypten, wo man Zedernöl herstellte, indem man in einen Tontopf Zedernholz in Wasser siedete und den Topf mit Wolle abdeckte. Der Wasserdampf schlug sich - wie beim Wasserkochen in einem Topf am Deckel - in der Wolle nieder. Das Pflanzenwasser wurde anschließend aus der Wolle gewrungen. Bei großen Mengen konnte das ätherische Öl abgeschöpft werden.

Die Wasserdampf-Destillation von Pflanzen wurde erst im Mittelalter richtig populär, da man erst jetzt problemlos Destillationsapparate herstellen konnte. Am Ablauf der Wasserdampf-Destillation hat sich seit dem Mittelalter nichts geändert, sie unterscheidet sich allerdings grundsätzlich von der Alkohol-Destillation.

Destillieren - ein alchemistischer Vorgang

Der Vorgang der Wasserdampf-Destillation war im Mittelalter ein alchemistischer Vorgang, der mit den wichtigsten Begriffen der Alchemie arbeitet: Merkur (Quecksilber), Sulphur (Schwefel) und Sal (Salz) und den Verfahren der Separation (Herauslösung), Purifikation (Reinigung/Läuterung) und der Kohorbation (der sogen. chymischen Hochzeit - der Vereinigung). Die Bedeutung von Quecksilber, Schwefel und Salz haben in der alchemistischen Kunst allerdings überhaupt nichts mit modernen chemischen Zuordnungen der Elemente und deren Verbindungen zu tun. Merkur steht für die Lebenskraft, die Bewegung und die Wandlung, Sulphur ist die Seele und Sal der Körper.

Bei der Destillation werden die vorbereiteten Pflanzenteile in einem geschlossenen Behälter auf einen Rost gelegt und in einem weiteren Wasser erhitzt. Der heiße Wasserdampf durchströmt die Pflanzen und erwärmt diese sanft. Er löst die flüchtigen Teile heraus und nimmt sie mit. Der Dampf steigt auf und gelangt in ein Rohr, indem er kondensiert. Das Rohr führt in einen Behälter, in dem das Destillat aufgefangen wird. Das Destillat enthält die wasserunlöslichen Bestandteile (ätherischen Öle) und die wasserlöslichen Bestandteile der Pflanze, die im Wasser verbleiben. Dabei schwimmt das ätherische Öl entweder auf oder - wenn es schwerer ist - unter dem Hydrolat.

In der Alchemie wurde der Vorgang der Erhitzung Separation (Herauslösung) genannt. Hier durchdringt der Wasserdampf die Pflanze und löst die flüchtigen Teile heraus. Bei der Purifikation (Reinigung/Läuterung) verbindet sich der Wasserdampf mit den flüchtigen Teilen der Pflanze und nimmt sie mit sich. Die chymische Hochzeit - die Kohorbation - findet statt, wenn aus dem Destillat in der Kondensation das ätherische Öl und das Hydrolat entsteht. Dieser Vorgang entspricht Merkur (dem Wasserdampf), der durch Wandlung die Seele, das Sulphur (die wasser- und fettlöslichen Teile der Pflanze) aus dem Sal, dem festen Körper der Pflanze löst.

Die medizinische Verwendung der Pflanzenwässer

Heute steht die Gewinnung des ätherischen Öles im Vordergrund und das dabei gewonnene Hydrolat wird als Nebenprodukt vermarktet. Im Mittelalter dagegen wurde das ätherische Öl im Hydrolat belassen und je nach Pflanze zur innerlichen Einnahme, äußerlich zur Waschung, Mundspülung und Tuch-Auflage verwendet.

Hieronymus Brunschwig’s “Liber de arte distillandi de simplicibus” enthält die Verwendung von 273 Pflanzenwässern sowie medizinische Indikationen und Anweisungen zur Therapie. In ihrer Dissertation “Vergleich der Indikationen des ‘Kleinen Destillierbuches’ des Chirurgen Hieronymus Brunschwig (Straßburg 1500) mit den nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand belegten Indikationen” kommt Dr. Heike Will im Schnitt zu 65 % Übereinstimmungen, was Wirkweise und Anwendung der verwendeten Pflanzen betrifft.

Es lohnt sich also, einen genaueren Blick auf die Pflanzenwässer zu werfen. Hydrolate unterscheiden sich erheblich vom ätherischen Öl und sind eine überaus sanfte Alternative, da sie Haut und Schleimhaut nicht reizen. Sie enthalten keine Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Gerbsäure oder Bitterstoffe.

Das Rosenwasser

Das bekannteste Pflanzenwasser ist das Rosenwasser. Viele benötigen es zur Marzipanherstellung oder für kosmetische Anwendungen. Allerdings bekommt man in der Apotheke kein Rosenwasser aus einer Rosenöl-Destillation. Im DAB (Deutsches Arzneibuch) ist genau definiert, aus was ein Rosenwasser zu bestehen hat: aus destilliertem Wasser, synthetischem Rosenduft und Konservierungsstoffen. Für medizinische Anwendungen und auch zur innerlichen Einnahme sind diese allerdings ungeeignet, während Hydrolate aus einer Wasserdampf-Destillation oft mit einem Alkoholzusatz von 15 % konserviert werden. Der Alkoholzusatz macht das Produkt länger haltbar. Für die Aromaküche ist ein solches Produkt durchaus nutzbar. Wenn Sie allerdings über eine empfindliche Haut verfügen oder das Pflanzenwasser medizinisch nutzen möchten, dann kann der Alkoholanteil hier zusätzliche Reizungen, Rötungen und Nebenwirkungen verursachen.

Brunschwig empfahl bereits um 1500 Rosenwasser gegen rote und schwerende Augen. Und das kann man mittlerweile in fast jeder Aromatherapie-Literatur nachlesen, dass Rosenwasser bei Bindehautentzündung des Auges hilfreich ist.

Dazu tränkt man einen Wattepad mit Rosenwasser und legt diesen einfach auf das geschlossene Auge auf. Meine eigene Erfahrung ist allerdings, dass Melissenwasser hier die Beschwerden schneller abklingen lässt, da es ganz stark antiviral und antibakteriell ist.

Mit einem Schuss Rosenwasser lässt sich nicht nur Apfelsaft, Cidre oder ein Dessert verfeinern, es ist ebenso ein vorzügliches Gesichtswasser für die ganz sensible Haut. Und viele Mütter mit ihren Babys schätzen das Rosenwasser ebenso, denn ein wunder Po gehört, bei regelmäßiger Pflege der Vergangenheit an. Ebenso wird es unterstützend bei dem gefürchteten Windel-Soor, einer Pilzinfektion, eingesetzt. Es versteht sich von selbst, dass ein solches Produkt dann keine Konservierungsstoffe und keinen Alkoholzusatz enthalten darf.

Das Thymianwasser

Gegen das Reißen und Grimmen in Bauch und Leib verwendete Brunschwig das Thymianwasser, als innerliche Einnahme. Aus dem orientalischen Raum wissen wir, dass dort Thymianwässer sehr verbreitet sind und besonders bei Magen-Darm-Verstimmungen eingesetzt werden. Dort wird das Thymianwasser innerlich (1 TL Hydrolat auf 1 Glas Wasser) eingenommen oder Joghurt mit 1 TL Thymianwasser verrührt und gegessen. Dies wirkt sich nicht nur positiv auf die Verdauung aus, sondern ist bei Blähungen und Verdauungsproblemen besonders hilfreich. Und es schmeckt sogar!

Das Angelikawasser

Während Brunschwig das Angelikawasser gegen bösen undäuigen Magen innerlich verwendete, wird heute vor allem das ätherische Öl bei Magen-Darm-Verstimmungen eingesetzt. Dieses findet sich in vielen modernen Arzneimitteln zur Behandlung eines gereizten Magen-Darm-Systems wieder. Das Angelikahydrolat verwenden wir heutzutage in der Gesichtspflege, da es hautberuhigende Eigenschaften besitzt und vor allem der entzündeten und gereizten Haut hilft.

Das Salbeiwasser

Brunschwig empfahl das Salbeiwasser als Tuch-Auflage oder Waschung zur Heilung von Wunden. Heute wissen wir, dass das Salbeihydrolat entzündungshemmende und antibakterielle Eigenschaften hat und verwenden es genauso. Allerdings darf das wesentlich sanftere Salbeihydrolat nicht mit dem hautreizenden ätherischen Salbeiöl verwechselt werden.

Die Wirk- und Anwendungsweise von Hydrolaten wird erst momentan wiederentdeckt. Unsere Auswahl an Pflanzenwässern ist dabei mittlerweile auf etwa 60 unterschiedliche Sorten gewachsen. Zu Brunschwigs Zeiten dagegen waren über 280 Pflanzenwässer im Umlauf und wurden medizinisch angewendet. Es gibt also viel altes Wissen nachzuholen. Und es ist kaum zu glauben, dass heutige Destillateure das gewonnene Pflanzenwasser einfach wegschütten und nur das ätherische Öl vermarkten - einfach aus dem Grund, dass wir heute nicht mehr wissen, wofür man ein solches Pflanzenwasser verwendet.

Quellen

Internet

Das komplette Werk von Hieronymus Brunschwig finden Sie unter

https://www.digitale-sammlungen.de//

Die Dissertation von Dr. Heike Will unter

https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/files/3355/willdiss.pdf

Literatur

Manfred M. Junius - Praktisches Handbuch der Pflanzenalchemie Ansata Verlag, 272 Seiten ISBN 978-3715700557

Olaf Rippe, Margret Madejsky, Max Amman, Patricia Ochsner, Christian Rätsch - Paracelsusmedizin AT-Verlag, 343 Seiten ISBN 978-385-502692-0

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