Das Urheberrecht liegt beim Herausgeber des Mittelaltermagazins Miroque. Wiederverwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Die Publikation wurde veröffentlicht in der Ausgabe Miroque - Lebendige Geschichte Nr. 1 - II/2010, Verlag VK Histomedia GmbH

Die Rose von Jericho

Die mystische Pflanze der Kreuzritter

von Gabriela Stark

mit freundlicher Genehmigung des Mittelaltermagazins Miroque

Eine der seltsamsten Pflanzen dieser Welt ist die Rose von Jericho. Sie ist klein, kugelig, strohig und vertrocknet. Kein Funken Leben mehr scheint dieser Pflanze innezuwohnen. Ihre Wurzeln sind nur ganz schwach mit dem Boden verbunden, und wenn der Wind an der Pflanze zerrt, reißt er sie los und fegt sie über den Wüstensand wie einen kleinen Ball. Doch wenn sie mit Wasser in Berührung kommt, tritt sie aus dem Schattenreich des Todes und erblüht zum Leben. Ihre Zweige öffnen sich, werden saftig und Ergrünen in einem satten Dunkelgrün.

“Auferstehungspflanze” nannten die Kreuzritter und mittelalterlichen Pilger diese Pflanze. Der Blühvorgang erinnerte sie an das Sterben Christi am Kreuz und dessen Auferstehung in den Himmel. Sie mussten staunend vor dieser Pflanze gestanden haben; und es war für sie ein göttliches Wunder, was sich vor ihren Augen vollzog.

Erklären konnten sich die mittelalterlichen Menschen diesen Vorgang nicht. Wissenschaftliche Methoden zur Untersuchung von Pflanzen, moderne Geräte und biochemische Zusammensetzungen waren in diesen Zeiten unbekannt.

Die Rose von Jericho als Reliquie und Souvenir

Es ist kein Wunder, dass die Kreuzritter diese Pflanze als besonderen Schatz aus dem gelobten Land mit nach Hause brachten. Sie wurde in eigens kunstvoll angefertigten Kästchen aufbewahrt. Was wir heute für wenige Euro auf einem Mittelaltermarkt erstehen, war in den Kreuzzugszeiten wertvoller als Gold. Die Rose von Jericho avancierte sogar zu einer begehrten Reliquie und gehörte zu den Dom- und Kirchenschätzen neben anderen Kostbarkeiten und verehrungswürdigen heiligen Gegenständen. Wie andere heilige Reliquien wurde auch sie den Gläubigen gezeigt und rituell zum Leben erweckt.

Sie gehörte zu den begehrten Souvenirs für jeden mittelalterlichen Pilger und Kreuzritter, die das gelobte Land auch tatsächlich besuchten. Zur Zeit der Kreuzzüge war die Rose von Jericho keine Handelsware, die auf europäischen Märkten angeboten wurde. Wer kein Geld für eine Rose von Jericho hatte, nahm einfach nur Wasser aus dem Jordan mit nach Hause. So ist nicht verwunderlich, dass die Rose von Jericho von Generation zu Generation vererbt wurde. Etwas so Einzigartiges und Seltenes hat natürlich ebenso einen hohen Symbolgehalt als Glücks-, Reichtums- und Lebenssymbol. So beschrieb man sie als eine Pflanze, die Unheil bannen konnte, vor Krankheiten schützte und ewiges Leben versprach.

Wie kam sie zu den Pilgern?

Wie die Rose von Jericho zu den Pilgern kam, erfahren wir in dem “Reisehandbuch ins Heilige Land” des Ludolf von Suchen, der 1336 - 1341 das gelobte Land besuchte. Aus seinem Bericht erfahren wir, dass sie von Beduinen gesammelt und an Pilger verkauft wurde. Er berichtet über die Gefahren der Wüste, von der Unbequemlichkeit, der Wärme, dem Sand und den vielen Gefahren wie giftigen Schlangen, Löwen und Drachen, die die Wüste bevölkerten. Mit diesen Geschichten wurden alle Fremden davon abgehalten, die Wüste zu erforschen und die wahren Schätze des Landes zu entdecken. Ebenso berichtet er über die heilige Geschichte von Maria, die mit ihrem Kind Jesus von Jerusalem nach Ägypten floh. Unter der Last und der Anstrengung soll die Rose von Jericho aus den Fußspuren Mariens entstanden sein.

Ihre ägyptische Geschichte

Und so führt uns die Geschichte der Rose von Jericho nach Ägypten. Denn dort ist sie bekannt unter dem Namen “Kaff maryam”, was “Hand der Maria” bedeutet und nach der Islamisierung der koptischen Ägypter wurde sie in “Id fatma bint e nabi” - “Hand der Fatima” umbenannt. Ihrer ethnobotanischen Geschichte kam Renate Germer, Ägyptologin und Botanikerin, auf die Spur. Im antiken Ägypten war die Rose von Jericho eine magische Symbolpflanze für Gebärende. Ihre Fähigkeit, aus dem Nichts und in ziemlicher Schnelligkeit Leben zu erzeugen, sollte den Frauen eine schnelle und leichte Geburt garantieren. Dazu wurde eine Rose von Jericho zum Leben erweckt und der Gebärenden das Wasser zu trinken gegeben. Bis heute gilt sie als magisches Mittel für Gebärende bei den ägyptischen Beduinenfrauen.

In Antinoe, einer Ausgrabungsstätte einer antiken ägyptischen Stadt fand man sogar eine Frauenmumie aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., die eine Rose von Jericho in der Hand hielt. Die Forscherin geht davon aus, dass die Regenerationsfähigkeit der Rose von Jericho nach dem Tode mit dem Wiederauferstehungsglauben der Ägypter in Beziehung stand. Denn den Pflanzen in Grabbeigaben von Pharaonengräbern hat man bis heute nur wenig Beachtung geschenkt.

Die hier beschriebene Art ist Anastatica hierochuntica, die zur Pflanzenfamilie der Cruciferae - Kreuzblütler gehört. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Nordafrika bis Vorderasien. Das Besondere an der Pflanze ist ihre nur einjährige Lebensdauer. In diesem einen Jahr bildet die Pflanze ihre Samen aus. Stirbt sie, bevor ihre Samen einen fruchtbaren Boden zur Keimung erreicht haben, kann ihr Wiederbelebungseffekt die Samen so lange schützen.

Der Wiederbelebungseffekt

Dieser Wiederbelebungseffekt lässt sich mit einem Schwamm vergleichen. Wie der Schwamm das Wasser aufsaugt und prall wird, saugen sich ihre Pflanzenzellen mit Wasser voll. Die Rose von Jericho ergrünt und breitet ihre Zweige aus. Trotz allem ist kein Leben mehr in der Pflanze. Es ist ein rein physikalischer Vorgang, den man unbegrenzt wiederholen kann.

Dieses Phänomen rückt sie heute in den Blickpunkt der modernen Forschung. Dabei stehen die kosmetischen Begriffe “Hautalterung” und “Feuchtigkeitsanreicherung” im Vordergrund. Denn die Pflanze ist ein absoluter Überlebenskünstler in einer feindlichen Umgebung. Die Rose von Jericho schafft es, in ihrer Lebenszeit mehrere Monate ohne Wasser auszukommen, und übersteht ebenso ein vollständiges Austrocknen. Kommt sie wieder mit Wasser in Berührung, bindet sie das Wasser in ihren lebenden oder toten Zellen und erblüht zum Leben. Diese Eigenschaften versuchen Forscher der Universität Freiburg zu ergründen, um die Welt der Kosmetik mit einem neuen Wirkstoff zu bereichern, der der Haut Feuchtigkeit spendet und bindet.

Ein kleines bisschen Botanik

Die Sorte Anastatica hierochuntica wird seit letztem Jahr in einem Projekt bei Jericho kultiviert und wahrscheinlich bald wieder käuflich zu erwerben sein. Denn was wir auf den Mittelaltermärkten erstehen, ist die Variante der Rose von Jericho aus der neuen Welt. Sie nennt sich Selaginella lepidophylla und ist ein Moosfarn. Sie kommt aus den südlichen Gebieten der USA, Mexico und El Salvador. Da diese Pflanze nicht kultiviert wird, sondern wild gesammelt der Natur entnommen wird, steht sie bereits im Anhang D des Washingtoner Artenschutzabkommens. Dies bedeutet, dass Lieferungen des Moosfarns überwacht werden, um rechtzeitig die Pflanze unter Schutz zu stellen, sollte der Bestand übermäßig abnehmen.

In Mexico ist die Pflanze unter dem Namen Doradilla bekannt. Das bedeutet übersetzt “die kleine Vergoldete”. Christian Rätsch beschreibt sie als eine Pflanze, die die peruanischen Curanderos und Schamanen als Zauberpflanze bei nächtlichen Ritualen verwendeten. In der mexikanischen Volksmedizin wird sie als Aphrodisiakum und gegen Impotenz verwendet. Erstmalig wird sie im “Libellus de Medicinalibus Indorum Herbis” des aztekischen Kräuterbuches von Martin de la Cruz als Mittel gegen Impotenz erwähnt. Er schrieb 1552 sein Wissen über aztekischen Heilpflanzen nieder. Hier wird sie unter dem Namen “Texochitl” beschrieben und in einem alten Stich abgebildet, wobei ihre “Auferstehungskräfte” symbolisch mit dem Ergrünen und Aufrichten der Pflanze auf die sexuellen Kräfte übertragen wurden, denn Inhaltsstoffe, die ein solch wirksames Aphrodisiakum rechtfertigen würden, sind von der Pflanze nicht bekannt.

Was die Rose von Jericho mit der Christrose zu tun hat

Immer wieder findet sich in der Literatur der Hinweis auf das “Blühwunder” zu Weihnachten und das Bauernorakel. Doch hier handelt es sich eben nicht um die Rose von Jericho, sondern um die Christrose (Helleborus niger). Die Christrose galt schon immer als ein Symbol des Lebens, da ihre weißen Blütenköpfe den Schnee durchbrechen und genau um die Weihnachtszeit blühen. Eine solche Pflanze wurde natürlich mit allerlei Magie umgeben. Das Bauernorakel besagte, dass wenn die Blüte zu Weihnachten eintraf, das kommende Jahr fruchtbar sein würde. Und wenn man die Blüten brach und nach Hause nahm, konnte man aufgrund der sich öffnenden Blüten das Wetter für das kommende Jahr vorhersagen.

Wie Sie die Rose von Jericho zum Leben erwecken

Das Wunder und die Faszination, die die Kreuzritter im Mittelalter erlebten, können Sie auch heute noch bestaunen. Um die Rose von Jericho zum Erblühen zu bringen, nimmt man die vertrocknete Kugel und stellt sie in einen Essteller mit wenig Wasser. Zuviel Wasser darf man ihr nicht zumuten, denn sie schimmelt sehr schnell. Bereits nach einigen Minuten breitet sie ihre Zweige aus und ergrünt. Bis der ganze Vorgang abgeschlossen und Sie eine grünende Rose von Jericho vor sich haben, dauert es allerdings einige Stunden. Sie dürfen die Rose von Jericho allerdings nur wenige Tage bis max. eine Woche blühen lassen. In dieser Zeit muss man das Wasser jeden Tag erneuern. Und denken Sie daran, nur wenig Wasser geben! Danach stellt man die Pflanze an einen trockenen und warmen Ort. Sie schließt ihre Zweige wieder zu einem kugeligen Ball und trocknet aus. Jetzt benötigt sie eine Ruhepause von mehreren Wochen. Danach kann sie wieder zum Leben erweckt werden.

Nun können Sie bestimmt den unglaublichen Eindruck nachvollziehen, den dies auf die ersten Kreuzritter machte. Nach Strapazen des Reisens und des Kampfes war es ein unerklärbares und magisches Wunder, das mit nichts zu vergleichen war.

Quellen

Literatur

Christian Rätsch – Weihnachtsbaum und Blütenwunder AT-Verlag 2003, 183 S. ISBN 978-3-855-02802-3

Renate Germer - Die Heilpflanzen der Ägypter Artemis & Winkler 2002, 184 S. ISBN 978-3-538-07144-5

Ludolf von Suchen - Reisehandbuch ins Heilige Land BiblioBazaar 2009, 94 S. ISBN 978-0-559-9178-9

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