Das Urheberrecht liegt beim Herausgeber des Mittelaltermagazins Miroque. Wiederverwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Die Publikation erschien in der Ausgabe Miroque - Lebendige Geschichte Nr. 14 - III/2013, Verlag VK Histomedia GmbH

Yggdrasil und die heiligen Haine

von Gabriela Stark

mit freundlicher Genehmigung des Mittelaltermagazins Miroque

Die Geschichten der Edda erzählen uns von der Mythologie der Wikinger und Germanen: Da gibt es Wotan oder Odin als absolute Gottheit, den Donnergott Thor, den besonders die Wikinger verehrten, oder Loki, der als listiger Gegenspieler alle täuscht - es sind Geschichten, die seit Jahrhunderten immer wieder neu erzählt werden. Der Mythos lebt auch heute immer noch in den Herzen der Menschen. Es ist egal, ob man sich die Verfilmungen der Marvel-Comics ansieht, einen Opernzyklus wie Wagners “Ring der Nibelungen” genießt oder die Geschichten der unzähligen Edda-Versionen liest. Selbst J.R.R. Tolkiens berühmtes Werk “Herr der Ringe” trägt Züge dieses Mythos in sich.

Yggdrasil - Der Weltenbaum

Der heiligste Baum in dieser Mythologie war die Weltenesche: Yggdrasil. Dabei handelt es sich um einen rein mythologischen Baum. Er war ein Symbol für das Universum. Er symbolisierte alles, was ist, sein wird und was war. Yggdrasil war die Erinnerung an die göttliche Schöpferkraft, die kosmische Entfaltung und das Raum-Zeit-Gefüge. Unsere Vorfahren verehrten den Weltenbaum in Form der Esche. Denn aus Eschenholz wurden die damaligen Waffen gefertigt. Das Holz ist robust, widerstandsfähig und elastisch. Aus diesem Holz entstanden Speere, Lanzen und Stiele für Streitäxte. Yggdrasil war allerdings mehr, denn dieser magische Baum beherbergte das Wissen des Universums und den Brunnen der Erinnerung. Wer aus seiner Quelle trank (wie Odin), erhielt das allumfassende Wissen um und über die Welt.

Ebenso verband Yggdrasil die neun Welten des Mythos. Sie teilten sich in drei Bereiche des Himmels, der Erdenwelt und der Unterwelt auf. Die Bereiche des Himmels waren die Welt der Asen, also der Gottheiten wie Odin und Thor (Asgard), des Göttergeschlechts der Wanen (Wanenheim) und die Welt der Elfen und Naturgeister (Albenheim). Die Erdenwelt war die Heimat der Menschen (Midgard), der Riesen (Jotunheim) und der Feuerriesen (Muspilheim). Die Unterwelt bestand aus dem Reich der Zwerge (Schwarzalbenheim), der unbewohnbaren Eiswelt im Norden (Niflheim) und dem Reich der Ahnen und der Totengöttin (Helheim).

Diesen kosmischen Weltenbaum holen wir uns heutzutage einmal jährlich zu uns nach Hause. Er wird geschmückt - dies symbolisiert die einzelnen Welten, die wir im Weltenbaum finden. Wir singen an unserem Weihnachtsbaum unsere magischen “Zaubergesänge” in Form von überlieferten Weihnachtsliedern. Ebenso verbinden wir uns in diesem schamanischen Ritual mit dem Zyklus des ewigen Kreislaufs von Werden und Vergehen. Es ist kein Zufall, dass unser Weltenbaum meist eine Tanne oder eine Fichte ist - denn sie gehörten zu den heiligen Bäumen und Hainen unserer Vorfahren.

Der heilige Hain

Der Wald unserer Vorfahren war so dicht gewachsen, dass es hieß, ein Eichhörnchen könnte von der Nordsee bis an das Mittelmeer über die Baumwipfel springen, ohne je den Boden zu berühren. Es waren uralte Bäume, da Kiefernbäume bis 500 Jahre, Tannen und Fichten sogar bis 600 Jahre alt werden können. Bei Pisa in Italien wurden Weißtannenpollen nachgewiesen, die über 7.000 Jahre alt sind. Es handelte sich also um Bäume, die ganz natürlich zu heiligen Hainen wurden und in den Mythos eingingen, einfach, weil sie viele Generationen an Menschen überdauerten.

Doch nicht nur Holz für Waffen, Häuser und Brennholz ließ sich aus diesem alten Wald gewinnen. Es sind auch Lebens- und Heilmittel, die sich aus Fichten, Tannen und Kiefern herstellen lassen. Bereits Hildegard von Bingen beschreibt in ihrer “Physica” die Zubereitung einer Harzsalbe. Damit wurden Muskelkater, Muskelschmerzen und rheumatische Beschwerden gelindert und in Erkältungs- und Grippezeiten wurde sie als wirkungsvolles Heilmittel verwendet. Gerade in Grippezeiten stärkt eine Harzsalbe das Immunsystem, erleichtert das Durchatmen und lindert Hustenanfälle.

Die Harzsalbe

Wenn Sie eine Harzsalbe ausprobieren möchten, benötigen Sie ein kleines Töpfchen, Messer und etwas zum Umrühren. Sie sollten für die Salbe kochen nur alte Gegenstände verwenden, da sich die Harzrückstände nicht mehr vollständig entfernen lassen. Dazu benötigen Sie eine Handvoll Baumharz von Kiefern, Fichten oder Tannen, etwas mehr an fettem Öl, zum Beispiel Olivenöl, und etwas Bienenwachs. Das Harz lässt man mit dem fetten Öl bei 50 - 70° C schmelzen, anschließend gibt man das Bienenwachs dazu und rührt fleißig um. Ist alles gut vermischt und flüssig, ist die Harzsalbe auch schon fertig. Sie wird einfach in ein sauberes Gefäß gegossen, anschließend wird der Bodensatz beim Erkalten abgetrennt. Denn alles, was im flüssigen Zustand in der Salbe enthalten ist, wie zum Beispiel Rindenstückchen, setzt sich beim Erkalten am Boden ab. Eine solche Salbe ist ein Jahr lang haltbar.

Die Kiefer

Die Kiefer (Pinus silvestris) wird oft als Lichtbaum oder Lichtbringer bezeichnet. Das rührt nicht von einer esoterischen Sichtweise her, sondern von der Tatsache, dass in mittelalterlichen Zeiten die Räume mit Kienspan erleuchtet wurden. Ihr harzreiches Holz brennt sehr lange und vor allem hell. Es gibt mittelalterliche Stiche und Bilder, worauf Menschen zu sehen sind, die einen brennenden Kienspan im Mund tragen, um beide Hände frei zur Arbeit zu haben.

Das Kiefernharz diente seit Jahrtausenden als Klebe- und Dichtungsstoff. Man verwendete es zum Einsetzen von Pfeilspitzen oder den Schäften einer Axt ebenso wie zum Bootsbau. Heutzutage wird das Kolophonium, so der Fachbegriff für das Kiefernharz, in der Papier-, Lack-, Farben- und Riechstoffindustrie verwendet. Besondere Bedeutung hat es im Geigenbau und bei anderen Streichinstrumenten. Denn hier dient es dazu, einer einzelnen Saite einen Ton zu entlocken.

Die Fichte

Die Fichte (Picea abies) liefert einen überaus leckeren Tee. Dafür sammelt man die Fichtensprossen (also die jungen Austriebe an den Fichten) oder Nadeln, übergießt 1 TL mit 150 ml heißem Wasser, lässt das Ganze sieben Minuten ziehen und süßt mit Tannenhonig. Ein solcher Tee stärkt das Immunsystem und lindert Erkältungsbeschwerden.

Aufpassen müssen Sie nur bei der Verarbeitung der ätherischen Öle von Fichte, Kiefer und Tanne. Denn diese enthalten einen sehr hohen Monoterpengehalt, der bei Bädern und Massageölen hautreizend wirken kann, wenn Sie eine zu hohe Dosierung einsetzen. Die meisten industriell gefertigten Badezusätze und Massageöle mit dem wunderbaren Nadelduft enthalten entweder komplett synthetische Duftstoffe oder sind in ihrer biochemischen Zusammensetzung stark rektifiziert worden. Rektifiziert bedeutet, dass hier der hautreizende Monoterpengehalt abgesenkt wird, was allerdings die Wirkungsweise des ätherischen Öles ebenso herabsetzt.

Das berühmte Fichtennadelbad können Sie allerdings auch einfach selbst herstellen. Sie benötigen nur eine Handvoll Fichten- oder Kiefernnadeln und geben diese in einen Topf mit Wasser. Nun geht es ans Aufkochen; anschließend muss man es einige Minuten köcheln lassen, dann den Sud eine Viertelstunde ziehen lassen und ins Badewasser geben. Ein Fichtennadelbad eignet sich zur Linderung von Erkältungen, rheumatischen Beschwerden und Muskelverspannungen.

Zum Verräuchern eignen sich alle Teile (wie Rinde, Nadeln, Zapfen und das Harz von Fichte, Kiefer und Tanne). Die Räucherungen lindern Erkältungen und können Krankheitsdämonen, wie Viren bei einer Hausräucherung wirkungsvoll austreiben. Aufgrund dieser Wirkung gibt es auch den Brauch, die Räume mit dem Rauch zu reinigen.

Die Tanne

Die Tanne (Abies alba) hat uns viele Mythen geschenkt, da Tannenwälder besonders dunkel, schaurig und unheilvoll wirken. Die ganze Atmosphäre wirkt viel mystischer und gefährlicher als in einem Fichtenwald. Der Name Schwarzwald stammt von den uralten Tannenbäumen. Eine Atmosphäre wie in einem uralten Tannenwald bietet das Märchen “Das kalte Herz” von Wilhelm Hauff. Darin erzählt der Autor von einem Waldkobold im mächtigen undurchdringlichen Tannenwald. Es gibt leider nur noch wenige Orte in Deutschland, wo man auf einen so mächtigen Tannenwald blicken kann. Die Tannen werden immer weniger, weil das Waldsterben aufgrund Übersäuerung des Bodens besonders die Tannen bedroht.

Die meisten Menschen reden heute von ihrem wunderbaren Tannenwald und stehen doch nur inmitten von Fichten. Wissen Sie, wie man eine Fichte und Tanne auseinanderhält? Es ist ganz einfach: Die Tannenzapfen stehen aufrecht nach oben, während die Fichtenzapfen am Zweig nach unten hängen.Wenn Sie sich das nächste Mal in einem Wald befinden, lassen Sie die erholsamen Grüntöne der Zweige auf sich wirken, holen Sie tief Atem und genießen Sie den Duft. Die heiligen Haine unserer Vorfahren sind ganz besondere Kraftorte, die uns entschleunigen und uns mit unseren Ahnen und Wurzeln verbinden.

Quellen

Internet

Gabriela Stark - Waldmedizin und Waldbaden - Tannenduft für die Seele

Literatur

Christian RätschDer heilige Hain AT VerlagISBN 3-03800-6

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