Das Urheberrecht liegt beim Herausgeber des Mittelaltermagazins Miroque. Wiederverwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Die Publikation erschien in der Sonderausgabe Dark Ages II Edition Nr. 5 - 2012 im Verlag VK Histomedia GmbH

Die Alraune - die magischste aller Pflanzen

von Gabriela Stark

mit freundlicher Genehmigung des Mittelaltermagazins Miroque

Es war spät abends auf einem mittelalterlichen Markt, als ein Pärchen zu unserem Stand kam. Die Frau sprach mich an, zeigte mir ein merkwürdiges schwarzes Ding und meinte zu mir, ob ich ihr sagen könne, was das sei. Ich besah mir das gute Stück von allen Seiten und verneinte. Darauf sah sie mich erstaunt an und meinte, ich als Kräuterhexe müsste doch wissen, was das sei. Auf meine Frage, was sie denn meine, was dies wäre, bekam ich zur Antwort, dies sei eine Alraunenwurzel. Das darauffolgende Gelächter von Klaudia und mir war noch Stände weiter zu hören! Der Händler, der die Alraunenwurzel als illegale Ware “unter dem Tisch” verkaufte, hatte immerhin beim Verkauf zu einem horrenden Preis dazugesagt, dass er nicht wisse, wie eine Alraunenwurzel aussehe.

Der Alraunenfälscher

Solche Geschichten spielen sich auf Mittelaltermärkten im Dutzenden ab: Ob die Alraunenwurzel aus Indien stammend und als hoher Baum angepriesen wird oder irgendwie etwas Merkwürdiges als Alraunenwurzel oder Blatt verkauft wird - die Geschäfte im heutigen Mittelalter gedeihen prächtig, und es muss auch kein Alraunenfälscher mehr Angst vor Strafe haben. Denn auf das Fälschen von Alraunen stand im Mittelalter nur eine einzige Strafe - die Todesstrafe. Wer eine so mächtige und magische Pflanze fälschte, musste immer mit der Angst leben, erwischt zu werden und sein Leben vom Henker beenden zu lassen.

Das Problem mit der Apothekenpflicht

Das Dilemma liegt schon darin begründet, dass kaum jemand diese Pflanze kennt und weiß, wie sie aussieht. Dafür gehört es schon fast zum guten Ton, als Hexe, Druide oder Schamane eine solche Wurzel zu besitzen. Getrocknete Alraunenwurzeln unterliegen gesetzlich der Apothekenpflicht. Apothekenpflichtige Pflanzen können eigentlich in jeder Apotheke käuflich erworben werden. Die Alraune gehört allerdings in einen bestimmten Kategorien-Anhang, der besagt, dass diese nur an Apotheken, Hochschulen der Pharmazie und Pharmaunternehmen mit Nachweis abgegeben werden dürfen, die Abgabe an den Endverbraucher darf nicht erfolgen. Aus diesem Grund finden Sie im Handel keine getrockneten Alraunenwurzeln oder Blätter.

Denn die Alraune (Mandragora officinalis) gehört zu den Nachtschattengewächsen und enthält in den Wurzeln und Blätter Tropan-Alkaloide wie das Scopolamin und Atropin. Damit gehört sie zu den psychotropen Pflanzen, die Halluzinationen und Trance auslösen können. Das große Problem bei diesen Pflanzen ist die Dosierung. Denn eine Dosierung ist, wie bei allen pflanzlichen Rauschdrogen, abhängig von der Konstitution eines jeden einzelnen Menschen. So kann die Wirkung visionär sein, allerdings auch im tagelangen Delirium enden. Bekannte Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, stundenlange Ausfälle des Sehvermögens und wie bereits erwähnt, tagelanges Delirium. Todesfälle, vor denen oft gewarnt wird, sind bisher nicht überliefert, ebenso wenig Dosierungen, die zum Tode führen.

Etwas Botanik

In der Literatur wird mitunter zwischen männlichen und weiblichen Exemplaren unterschieden. Dies kommt daher, dass es zwei Arten von Alraunen gibt, eine früh- und eine spätblühende. Die Mandragora officinalis ist die echte und gilt als das männliche Exemplar. Sie kommt nur in ihrem Ursprungsgebiet, dem mediterranen Raum von Portugal bis Griechenland vor. Sie blüht im Frühjahr und ist in unseren Breitengraden extrem schwierig zu kultivieren. Das weibliche Exemplar ist die Unterart Mandragora officinalis var. autumnalis. Sie blüht im Herbst und kann in unseren Breitengraden problemlos im Pflanzenkübel gehalten werden. Wichtig ist nur die frostfreie Unterbringung über den Winter. In gemäßigten europäischen Klimazonen können Alraunen auch draußen stehen. Um die Alraune zu Blüten und Früchten zu bringen, benötigt man allerdings keine zwei Exemplare.

Der obere Teil der Alraune wird nicht besonders groß. Es erscheint eine Blattrosette aus der einige Blätter sprießen, die 20 - 30 cm lang werden können. Die Blätter erscheinen nur wenige Wochen im Jahr, danach welken sie und sterben ab. Was scheinbar stirbt, lebt und wächst allerdings im Verborgenen weiter. Für die antiken und mittelalterlichen Menschen war das reine Magie. Sie konnten eine Alraune nur an bestimmten Zeiten und nur für wenige Wochen im Jahr sehen und finden.

Bis eine Alraune das erste Mal blüht, vergehen vier Jahre ihres Bestehens. Aus den Blüten bildet sie kleine Früchte aus, die wie Eier in einem Osternest in der Mitte der Blattrosette liegen. Die reifen und duftenden Alraunenfrüchte sind die Liebesäpfel, die bereits in der Bibel erwähnt werden. Diese waren in den antiken Zeiten von Ägypten bis Israel ein äußerst begehrtes Aphrodisiakum. Denn die Alraune wirkt nicht nur bewusstseinserweiternd, sondern hat ebenso große erotisierende Kräfte. Die Früchte können unbedenklich gegessen werden, da diese sich in ihrer biochemischen Zusammensetzung komplett von den anderen Pflanzenteilen unterscheiden. Die Alkaloide finden sich in den Früchten nur noch in winzigen Spuren.

Die magische Wurzel

Das Besondere ist allerdings die Wurzel, die bis zu einem Meter lang werden kann. Aus diesem Grund sollte eine Alraune in einen tiefen Kübel gepflanzt werden, damit die Wurzel Platz findet, sich auszubilden. Die Wurzel entwickelt einen dicken Körper, mit wenigen Nebenarmen und Windungen, der ihr ein menschliches Aussehen gibt. Somit war der Grundstein für Zauberei und Magie gelegt. Eine Wurzel, die menschenähnlich aussieht, war in der Antike und im Mittelalter etwas so Besonderes, dass sie sowohl für Unheil, Krankheit und Unglück wie auch für ein extrem langes und glückliches Leben, Reichtum und Heilung verantwortlich war - je nachdem, in welchem Kontext sie verwendet wurde.

Natürlich war die Alraune überaus kostbar. Wunderschöne Wurzelexemplare verhießen dem Wurzelgräber unermesslichen Reichtum. Denn eine solche Wurzel, die äußerlich eine gut erkennbare Menschengestalt aufwies, wurde als Symbolpuppe gehandhabt. Sie wurde angezogen, hatte ein kleines Puppenbett und wurde täglich gepflegt. Ging es der Wurzel gut, so hieß es, kamen Reichtum, langes Leben und Glück über den Besitzer.

In der Schwarzen Magie wurde die Alraune verwendet, um Totenbeschwörungen abzuhalten und einen Homunculus auferstehen zu lassen. Unter dem Begriff “Homunculus” verstanden die Leute nicht einen künstlichen Menschen, sondern einen dämonischen Hilfsgeist, der sie in ihren dunklen Ritualen weiter unterstützen konnte. Goethe hat diesen dunklen Teil der Pflanze in seinem “Faust II” verarbeitet.

Mythen und Legenden über die Alraune

Es kursierten die unglaublichsten Sagen über die Alraune. Die Wurzelgräber wussten viele Geschichten zu erzählen, damit niemand es wagte, sich selbst eine Alraune aus der Erde zu graben. Die bekannteste ist der tödliche Schrei der Alraune: Die Legende sagt, dass jeder Mensch sterbe, der ihren Schrei hört, wenn sie aus der Erde gezogen wird. Also musste derjenige seine Ohren mit Wachs oder Pech versiegeln und mit einem Hund die Alraune ausgraben. Dabei wurde die Erde um die Alraune gelöst und eine Schnur um sie gebunden. Das andere Ende der Schnur wurde am Hund befestigt. Zog der Hund die Wurzel heraus, wurde er und nicht der Mensch, durch den Schrei der Alraune getötet.

Ebenso verbreitet war die Geschichte, dass Alraunen nur an Henkersplätzen wuchsen. Denn eine Alraune konnte nur entstehen, wenn ein frisch gehenkter Mann noch einen letzten Samenerguss hatte und dieser auf die Erde tropfte. So bekam die Alraune den Beinamen “Galgenmännlein”.

Ein Alraunenschatz in Österreich

Im Laufe der Hexenstigmatisierungen im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit wurde die Alraunenwurzel verboten und überführte Besitzer als Hexen und Zauberer wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Doch alle Verbote nutzten nichts, denn die magischen Aspekte der Alraune waren zu stark im Volk verwurzelt. Selbst die Kirche war zu diesem Zeitpunkt von der Alraune infiltriert. Selbst die Kirchenfürsten pflegten und bewunderten so manchen “Alraunenschatz”. Bewundern können Sie heute noch ein Alraunenwurzelkreuz aus dem Jahr 1255 in der steirischen Wallfahrtskirche Judendorf-Straßengel in Österreich. Es stellt einen gekreuzigten und schmerzgeplagten Christus dar, dessen kleine Wurzelfasern sogar Kopf- und Barthaare aufweisen.

Die Alraune in der Medizin

Alraunezubereitungen waren allerdings nicht nur aphrodisischer oder magischer Natur, sondern wurden auch medizinisch verwendet. Mit ihrer narkotisierenden Kraft versetzten die antiken und mittelalterlichen Ärzte Menschen in einen so tiefen Schlaf, dass sie operiert werden konnten. Ebenso wurden Alraunenzusätze bei äußerst schmerzhaften Geburten und bei Zahnschmerzen verabreicht.

Die Alraune hat bis heute nichts von ihrer Magie verloren. Sie gehört geradezu in die phantastischen Geschichten, die mittelalterliche und magische Praktiken aufweisen. Selbst in der Kinder- und Jugendliteratur wird sie beschrieben - wie zum Beispiel bei Harry Potter. Wenn Sie einmal in der Lage sein sollten, Alraunen zu ernten, vergessen Sie zumindest die Ohrenschützer nicht!

Quellen

Literatur

Hannes Bächtold-Stäubli Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens De Gruyter VerlagISBN 3-11-016860-X

Claudia Müller-Ebeling, Christian Rätsch Zauberpflanze Alraune Nachtschatten VerlagISBN 3-907080-98-X

Pflanzentipps

Alraunenpflanzen gibt es bei

https://www.kraeuter-und-duftpflanzen.de/

https://www.gaissmayer.de/web/shop/

https://www.blumenschule-schongau.de/

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